Bangladesh 2019


Einsatzbericht Ärztecamp International Bangladesh Oktober 2019

Im Oktober 2019 ist ein 6-köpfiges Team von „Ärztecamp International“ (ÄCI) von München aus nach Bangladesh zu einer zweiwöchigen „field mission“ aufgebrochen. Es handelte sich dabei um den 6. Einsatz in Zusammenarbeit mit Friendship und ÄCI in dem ostasiatischen Land.

Die Flugkosten wurden für das gesamte Team erneut von der „Emirates Airline Foundation“ übernommen. Die Emirates Airline Foundation (www.emiratesairlinefoundation.org) sponsert jedes Jahr Flüge nach und von Bangladesh in die gesamte Welt für ehrenamtlich und humanitär medizinisch tätige Teams verschiedenster Nationen, um vor Ort die „Friendship Organisation Bangladesh“ mit ihren Schiffen in ihrer Arbeit zur medizinischen Versorgung der Landbevölkerung zu unterstützen. ​ Friendship (www.friendship-bd.org) ist eine Organisation in Bangladesh, die der verarmten und zum großen Teil mittellosen ländlichen Bevölkerung durch Gesundheitsprojekte, Bildung, soziale Fürsorge, Vorsorgeprogramme und Familienplanung Unterstützung gewährt. Gegründet wurde die Organisation im Jahre 2001 durch Mrs. Runa Khan. Für die Einsätze an Bord werden nationale und internationale Ärzte-Teams verschiedenster Fachrichtungen gewonnen. Es kommen Chirurgen, Gynäkologen, Orthopäden, plastische Chirurgen und Urologen für die spezifischen Operationen. Begleitet werden sie jeweils von Anästhesisten, Allgemeinmedizinern, Kinderärzten, Internisten, Kardiologen, Hautärzten, Augenärzten, Optikern, Zahnärzten und Physiotherapeuten, die ein Team dann komplettieren. ​ Nach einem 12-stündigen Flug mit Zwischenstopp in Dubai landete das ÄCI-Team in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesh. Von dort aus ging es weiter Richtung Norden mit einem Kleinbus. Nach 6-stündiger Fahrt erreichte der Wagen den Ort „Meghai“ am Jamunah River, dem Hauptstrang des Brahmaputra River, 150 km nördlich von Dhaka. Meghai liegt im Verwaltungsbezirk (Upazila) Kazipur, District Sirajganj, Division of Rajshahi, in den Nördlichen Territorien von Bangladesh (siehe Karten unten). ​ Mit einem landestypischen, flachen Holzkahn ging es dann flussabwärts eine weitere 1 Stunde bis zum Einsatzort auf dem Hospitalschiff „Lifebuoy“. Noch am Abend der Ankunft fand ein Screening von 60 potentiell zu operierenden chirurgischen Patienten statt. Die Lifebuoy (Lifebuoy Friendship Hospital) ist ein ca. 50 Jahre alter, Anfang der 1990er Jahre zum Hospital-Schiff umgebauter, ehemaliger französischer Ölfrachter. Nach einer gründlichen Überholung und einem gleichzeitigen Umbau zum OP-Schiff, möglich geworden durch die großzügige finanzielle Unterstützung des Weltkonzernes „Unilever“, wurde das Schiff Friendship im Gründungsjahr 2001 überlassen. Seitdem ist die Lifebuoy für Friendship auf dem Brahmaputra River ununterbrochen im Einsatz. 2011 wurde sie erneut einer umfassenden Renovierung unterzogen. Der ehemalige Öl-Tanker ist 40m lang und 8m breit. Er hat einen Tiefgang von 4m und ist mit seinem flachen Rumpf bestens für die Fluss-Schifffahrt geeignet. 30 Mann Besatzung, davon 20 Mann Stammbesatzung für das Schiff und 10 Personen medizinisches Fach-Personal tun auf dem Schiff ihren Dienst.

Das Schiff ist bestens ausgestattet und verfügt über vier Behandlungsräume, davon einen für augenärztliche und einen für zahnärztliche Tätigkeiten. Neben einem Augen-OP ist Equipment zur Anpassung optischer Brillen vorhanden. Die zentrale Einheit bildet der chirurgische Operationssaal, in dem nahezu alle gängigen Eingriffe durchgeführt werden können. Ein Aufwachraum mit zwei Feldbetten, ein kleines Labor, ein Röntgengerät, sowie ein Dampf-Sterilisator ergänzen das Ensemble auf kleinstem Raum.

Im Schlepptau zieht die Lifebuoy ein hausbootartiges Ponton-Begleitboot acht Kajüten zur Aufnahme und Beherbergung der internationalen Teams, zwei Duschen, einer eigenen Kombüse und einem großen Salon.

Zum Flottenverband der Lifebuoy zählen neben dem Mutterschiff und dem geräumigen Hausboot ein Ambulanz-Schnellboot und ein flaches Holzboot, das sog. „country boat“. Die Küche des Hauptschiffes versorgt neben der Stammbesatzung auch die Teams täglich mit Frühstück, sowie köstlichen bengalischen Mahlzeiten mittags und abends. Überhaupt ist die gesamte Schiffsmannschaft stets darauf bedacht, den Aufenthalt für die Teams so angenehm wie möglich zu gestalten.

An jedem Landungpunkt errichtet die Mannschaft der Lifebuoy einen sog. „shelter“, ein Barackenlager aus Wellblech, Bambusstangen und Sandsäcken zur Unterbringung der Patienten und ihrer Angehörigen. Als Liegeflächen dienen flache Holzpritschen, die in zwei Reihen dicht an dicht gestellt die Hütten füllen. Separat davon werden eine überdachte Feuerstelle zum Kochen eingerichtet, ein Brunnen gegraben, ein Toilettenhäuschen aufgestellt und ein Kiosk eröffnet.

Mittels einer Glühbirnen-Lichterkette, die vom Generator des Mutterschiffes gespeist wird, gibt es überall im Camp auch nach Einbruch der Dunkelheit etwas Licht. Die „Lifebuoy“ ist neben der „Emirates“ eines von derzeit 2 einsatzfähigen, schwimmenden Krankenhäusern, nachdem zu Beginn diesen Jahres die „Ronghdonu“ (ehemals „Rainbow-Warrior II“ von Greenpeace) aus Altersschwäche aufgegeben werden musste. Fünf weitere Schiffe, liegen derzeit in den Docks, wo sie durch Finanzierung der „Bangladesh Development Bank“ und mit finanzieller Unterstützung des Königshauses von Saudi Arabien zu Hospitalschiffen umgebaut und auf ihren Einsatz auf dem Brahmaputra River und im Golf von Bengalen vorbereitet werden.

Die Lifebuoy und die Emirates befahren die Gewässer des Brahmaputra River im Norden des Landes im Bereich ländlicher, medizinisch unterversorgter Gebiete mit wechselnden, aber stets wiederkehrenden Landungspunkten. Die Hospitalschiffe verbleiben jeweils ca. 6-8 Wochen an den jeweiligen Standorten, um eine nachhaltige und großflächige Patienten-Versorgung gewährleisten zu können.

Über die sog. „satellite clinics“, medizinische Schulungs- und Versorgungszentren, die über das gesamte Land verteilt von Friendship betrieben werden, erfahren die Menschen von der Ankunft der Hospitalschiffe. In den satellite clinics versehen qualifizierte Krankenschwestern, sog. „paramedics“ ihren Dienst.

Die Patienten nehmen stundenlange und sehr beschwerliche Anreisen in Kauf und kommen teilweise bis über 100 km weit mit dem Boot, um gegen einen symbolischen Obolus von umgerechnet 5-10 Cent auf den Schiffen behandelt zu werden. Nicht wenige schlafen vor dem Schiff im Freien, um am nächsten Tag die ersten auf dem Schiff zu sein. Neben den Schiffen betreibt Friendship eine Landklinik im Süden von Bangladesh und zahlreiche über das gesamte Land verteilte sog. „satellite clinics“. Hier werden Impfprogramme durchgeführt, finden die Säuglings- und Kleinkinder-Untersuchungen statt, bekommen die Menschen Beratung über Hygiene, Ernährung, Familienplanung und werden mit Medikamenten versorgt. Eine Vorauswahl der zu operierenden Patienten findet ebenfalls im Vorfeld jedes Camps hier statt.

Das Team 2019. Dorothea Licht (Physiotherapie, Organisation und Leitung der Mission). Ulrike Kober (Physiotherapie). Dr. Simone Ludat-Geisseler (Anästhesie und Schmerztherapie). Dominik Niemann (Anästhesie). Dr. Susanne Müller (Chirurgie). Dr. Florian Hasner (Chirurgie und Urologie). Pro Person wurden 600 Euro in Eigenleistung für Hotel-Übernachtungen, Transport vor Ort im Land, sowie Unterkunft und Verpflegung auf dem Hospital-Schiff aufgebracht.

Medizinische Ausrüstung. Im Vorfeld wurden ca. 432 optische Brillen in Deutschland zur Anpassung und kostenlosen Verteilung an die einheimische Bevölkerung gesammelt. Zur Durchführung der Narkosen und Operationen an Erwachsenen und Kindern wurden große Mengen an medizinischem Material (Medikamente, Verbandsstoffe, Pflaster, Nahtmaterial, Netz-Implantate, Gehstützen und Gehstöcke, Hände-Desinfektionsmittel, Spezialnadeln zur Spinalanästhesie) vor Ort gebracht. Ein spezielles Reinigungsgerät für optische Brillen auf Ultraschall-Basis wurde dem Optiker an Bord als Spende übergeben.

Tagesablauf. Bereits bei Sonnenaufgang standen die Patienten in Reih und Glied am Ufer und warteten geduldig auf ihren Einlass aufs Schiff. Um 7:45 erfolgte die tägliche Visite der tags zuvor Operierten im Shelter unter Mitwirkung des medizinischen Teams der Lifebuoy. Die Operationen starteten dann pünktlich morgens um 8:15 und endeten zwischen 19:00 und 21:00 abends. Die ambulanten Behandlungen der Physiotherapie begannen jeweils um 9:00 und endeten in der Regel gegen 17:00. Parallel zu den laufenden Operationen wurden von der Anästhesistin des Teams Infiltrations-Therapien zur Behandlung chronischer Schmerzpatienten im Rahmen einer schmerzmedizinischen Sprechstunde durchgeführt. Bei einer einstündigen Mittagspause erholte sich das gesamte Team im Rahmen des gemeinsamen Mittagessens von den Strapazen der Arbeit. Die gemeinsame Abendessenszeit richtete sich nach dem jeweiligen Ende des OP-Betriebes.

Jeder Patient von Friendship erhält ein persönliches Behandlungsheft, in dem alle relevanten Daten und Messergebnisse wie Alter, Größe, Gewicht, Blutdruck, Körpertemperatur, Laboranalysen, Medikamente und die Angaben zur Krankengeschichte erfasst werden. Die verordneten und rezeptierten Medikamente können die Patienten in der bordeigenen Apotheke sofort und kostenfrei beziehen.

Der OP-Plan wurde zu Beginn der Mission nach Untersuchung aller bereits gescreenten Patienten vom OP-Team zusammen mit dem leitenden Bordarzt für die gesamte Aufenthaltsdauer festgelegt und für jeden OP-Tag separat ausgedruckt und aufgehängt. Notfälle wurden der Dringlichkeit wegen am Ende der OP-Tage abgearbeitet. Die tägliche OP-Zeit betrug im Durchschnitt 11 Stunden.

Gesehen und behandelt wurden an 8 Arbeitstagen physiotherapeutisch 95 Patienten. Chirurgisch und urologisch wurden 54 Patienten mit insgesamt 59 Eingriffen operiert. Ein Patient davon erlitt in der ersten postoperativen Nacht eine schwerwiegende abdominelle Komplikation, so dass er noch während der Nachtstunden erneut operiert werden musste. Als zusätzliche Komplikation erlitt dieser ältere Patient während des Eingriffes einen Herzstillstand und musste reanimiert werden. Trotz der bescheidenen Mittel an Bord gelang dem OP-Team eine erfolgreiche Wiederbelebung ohne bleibende dauerhafte Schäden für den Patienten. Aus Sicherheitsgründen erfolgte eine längerfristige Überwachung des Patienten im Aufwachraum des Hospitalschiffes.

Mit dieser einzigen Ausnahme konnten alle operativen Eingriffe erfolgreich durchgeführt und abgeschlossen werden. Die meisten Patienten konnten bereits am ersten Tag, spätestens jedoch am zweiten Tag nach ihrer Operation nach der morgendlichen Visite durch das Team aus dem Shelter nach Hause entlassen werden.

Das Behandlungsspektrum umfasste im Bereich Physiotherapie Fußdeformitäten, Lähmungen, Kontrakturen, Muskeldystrophien, Schulter-Arm-Syndrome, posttraumatische Behandlungen nach Unfällen, HWS-Syndrome, LWS-Syndrome und Kinder mit postnatalen Cerebralparesen.

Das chirurgische Operationsspektrum umfasste im Wesentlichen die Sanierung und Reparation von Leistenhernien und Hydrozelen, daneben Spermatozoen, offenen Processus vaginales, und Kryptorchismus, sowie die Exzision von Atheromen im Genitalbereich. Im Rahmen der Schmerzmedizin wurden Infiltrationstherapien zur Behandlung von chronischen Schmerzen im Bereich aller Körpergelenke, speziell in den Bereichen von Wirbelsäule, Becken und Schultern, durchgeführt. Insgesamt konnten auf diesem neuen Sektor 25 Patienten effektiv und sofort wirksam behandelt werden.

Begleitend zu den Behandlungen und Operationen fanden praktische und theoretische Fort- und Weiterbildungen des medizinischen Personales an Bord statt.

Das follow-up der behandelten Patienten wird vom medizinisch geschulten Fachpersonal des Hospitalschiffes unter der Leitung und Oberaufsicht des leitenden Schiffsarztes sichergestellt.

Sämtliche Mitarbeiter des Frienship-Teams sprachen gut Englisch und konnten die verschiedenen Dialekte der Sprache in Bangladesh (Bangla) gut verständlich übersetzen. Wegen des muslimischen Hintergrundes des Landes waren körperliche Untersuchungen und Behandlungen bei nicht gleichgeschlechtlichen Ärzten in Einzelfällen bisweilen schwierig. ​ Fazit: ​ Die Arbeit mit Friendship Bangladesh und der Crew des Lifebuoy Friendship Hospital war außerordentlich erfolgreich und befriedigend. Das medizinische Schiffspersonal war in höchstem Maße motiviert und engagiert, kooperativ und teamorientiert. Die Arbeitsbedingungen waren unter den gegebenen Umständen hervorragend. ​ Der Einsatz eines weiblichen, gynäkologisch orientierten Ärzte-Teams für die Behandlung des weiblichen Bevölkerungsanteiles von Bangladesh, der unter den herrschenden Verhältnissen im Land nicht ausreichend Berücksichtigung findet, wäre wünschenswert. Ferner werden stets Ärzte aus den Fachbereichen Orthopädie, Allgemeinmedizin und Interne Medizin, sowie Zahnmedizin benötigt.